Veröffentlicht am März 15, 2024

Die Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff in der deutschen Industrie wird nicht durch politische Ziele, sondern durch die ungelöste Diskrepanz zwischen geförderten Investitionskosten (CAPEX) und explodierenden Betriebskosten (OPEX) entschieden.

  • Die Gestehungskosten für grünen Wasserstoff übersteigen die von Erdgas um das Vierfache, was ohne dauerhafte Subventionen nicht wettbewerbsfähig ist.
  • Die notwendige Infrastruktur für Transport und Import existiert nur in Fragmenten und erfordert Milliardeninvestitionen, während die Abhängigkeit von Importen unausweichlich ist.

Empfehlung: Investitionsentscheidungen müssen über die reine Technologiebegeisterung hinausgehen und eine rigorose Analyse der Förder-Abhängigkeit und der langfristigen Betriebskostenfalle beinhalten.

Die Vision einer dekarbonisierten deutschen Stahlindustrie, angetrieben von grünem Wasserstoff, dominiert die energiepolitische Debatte. Gefeiert als Schlüsseltechnologie für die Energiewende, verspricht H2 eine klimaneutrale Produktion und technologische Souveränität. Fast täglich werden neue Pilotprojekte und milliardenschwere Förderprogramme angekündigt, die den Eindruck erwecken, der Wandel sei nur noch eine Frage der Zeit. Die gängige Meinung lautet: Mit ausreichend politischem Willen und finanzieller Starthilfe wird der Umstieg gelingen und Deutschlands Industrie zukunftsfest machen.

Doch hinter der Fassade aus politischen Bekenntnissen und Hochglanzbroschüren verbirgt sich eine weitaus komplexere ökonomische Realität. Die Fokussierung auf die Machbarkeit verdeckt die kritische Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Was, wenn die wahre Herausforderung nicht im Bau von Elektrolyseuren liegt, sondern in den unkalkulierbaren Betriebskosten, die danach folgen? Was, wenn die Infrastruktur nicht schnell genug mitwächst und die Abhängigkeit von Subventionen ein permanenter Zustand bleibt? Für Investoren und Manager ist es daher unerlässlich, den Hype von den harten Fakten zu trennen und die strukturellen Hürden zu verstehen.

Dieser Artikel verlässt bewusst den Pfad der reinen Technologie-Euphorie. Stattdessen wird eine analytische und kritische Perspektive eingenommen, die sich den unbequemen Fragen stellt. Wir analysieren die Kostenstruktur, die realen Infrastruktur-Engpässe, die Risiken für Anleger und die pragmatische Notwendigkeit von Übergangslösungen. Ziel ist es, eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen, die über die Frage des „Ob“ hinausgeht und das Labyrinth des „Wie“ und „Zu welchem Preis“ beleuchtet.

Um diese komplexen Zusammenhänge zu strukturieren, beleuchtet dieser Artikel die entscheidenden wirtschaftlichen und technischen Aspekte der Wasserstoff-Transformation. Die folgende Übersicht führt Sie durch die zentralen Fragestellungen, von den Kosten bis zur Förderung.

Warum ist Wasserstoff heute noch 4-mal teurer als Erdgas?

Die zentrale Hürde für den breiten Einsatz von grünem Wasserstoff ist seine prekäre Kostenstruktur. Aktuell liegen die Gestehungskosten um den Faktor vier über denen von fossilem Erdgas. Dieser Preisunterschied resultiert aus zwei Hauptkomponenten: den hohen Investitionskosten (CAPEX) für Elektrolyseure und den noch höheren variablen Betriebskosten (OPEX), die primär durch den Preis für erneuerbaren Strom getrieben werden. Obwohl Prognosen eine positive Entwicklung bei den Anlagenkosten nahelegen – so rechnet das Fraunhofer ISE damit, dass die Kosten für alkalische 100-Megawatt-Elektrolyseure bis 2030 auf 444 Euro pro Kilowatt sinken könnten –, bleibt der Strompreis der dominante Faktor.

Für die Stahlindustrie bedeutet dies eine Betriebskostenfalle: Selbst wenn die teure Anlage durch Fördergelder finanziert wird, macht der laufende Betrieb die Produktion unwirtschaftlich. Ein Stahlwerk benötigt eine kontinuierliche, 24/7 verfügbare Energiezufuhr, die grüner Strom aus volatilen Quellen wie Wind und Sonne nur mit teuren Speichern oder Back-up-Systemen garantieren kann. Projekte wie SALCOS der Salzgitter AG, die eine Reduktion der CO2-Emissionen um über 95 % anstreben, sind technologische Leuchttürme. Ökonomisch sind sie jedoch auf eine langfristige und massive Subventionierung der Betriebskosten angewiesen, um am Markt bestehen zu können. Die Preisdifferenz zum Erdgas ist keine temporäre Lücke, sondern ein strukturelles Defizit, das die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche gefährdet.

Wie transportieren wir Wasserstoff durch alte Gasleitungen ohne Lecks?

Die Vision, das bestehende deutsche Gasnetz für den Wasserstofftransport zu nutzen, ist verlockend, doch die technische Realität ist komplex. Wasserstoff ist das kleinste Molekül und deutlich flüchtiger als Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas. Dies führt zu einem erhöhten Risiko von Leckagen, insbesondere an Schweißnähten, Dichtungen und Ventilen älterer Leitungen. Die sogenannte Wasserstoffversprödung stellt ein weiteres materielles Risiko dar: H2 kann in den Stahl der Pipelines eindringen und dessen Duktilität verringern, was die Gefahr von Rissen unter Druck erhöht. Eine vollständige Umrüstung ist daher mehr als nur ein Umschalten – sie erfordert erhebliche Investitionen in die Ertüchtigung der Infrastruktur.

Diese Infrastruktur-Realität ist besonders für die Stahlindustrie kritisch, denn auf die Branche entfallen rund 30 % der industriellen Treibhausgasemissionen in Deutschland. Die Dekarbonisierung dieser Branche erfordert den Transport gigantischer Wasserstoffmengen zu den Hüttenwerken.

Technische Umrüstung einer Erdgaspipeline für Wasserstofftransport mit speziellen Dichtungen und Ventilen

Die Umstellung von Pipelines, wie im Bild angedeutet, erfordert den Austausch von Kompressoren, die Anpassung von Messgeräten und die genaue Untersuchung der Materialverträglichkeit jedes einzelnen Rohrsegments. Während moderne Pipelines bereits „H2-ready“ gebaut werden, ist der Altbestand eine technische und finanzielle Blackbox. Für Investoren bedeutet das: Die Kosten für die Wasserstofferzeugung sind nur die halbe Miete. Die zweite, oft unterschätzte Hälfte sind die Milliardeninvestitionen in eine sichere und leckagefreie Transport-Infrastruktur, ohne die der grüne Wasserstoff seine Bestimmungsorte in der Industrie niemals erreichen wird.

Wasserstoff-ETFs oder Einzelaktien: Wo liegt das Risiko für Privatanleger?

Der Hype um Wasserstoff hat eine Welle von Investmentmöglichkeiten ausgelöst, von spezialisierten ETFs bis zu Aktien einzelner Technologieunternehmen. Für Anleger ist es jedoch entscheidend zu verstehen, dass der Sektor fast vollständig von politischen Rahmenbedingungen und Subventionen abhängt. Das Hauptrisiko liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in der Förder-Abhängigkeit der Geschäftsmodelle. Ein Unternehmen mag den besten Elektrolyseur entwickeln, doch wenn die Abnehmer den teuren Wasserstoff ohne staatliche Zuschüsse nicht kaufen können, ist das Geschäftsmodell wertlos. Die entscheidende Frage für eine Investitionsanalyse lautet daher: Wie nachhaltig ist das Geschäftsmodell ohne Subventionen?

Ein zentrales Instrument der deutschen Förderpolitik sind die sogenannten Klimaschutzverträge (Contracts for Difference), die explizit die hohen Betriebskosten (OPEX) subventionieren sollen. Wie Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, betonte:

Mit den Klimaschutzverträgen fördern wir erstens moderne, klimafreundliche Industrieanlagen von morgen. Die Klimaschutzverträge als zusätzliches Instrument sollen dann im Rahmen von Contracts for Difference auch die OpEx-Kosten mit abdecken. Wir wissen, welche Unternehmen bis tief in den deutschen Mittelstand hinein Interesse daran haben.

– Dr. Robert Habeck, Bundestagsrede zur Nationalen Wasserstoffstrategie

Diese Verträge stellen einen Paradigmenwechsel dar, da sie das Hauptproblem der Betriebskostenfalle direkt adressieren. Eine Analyse der Förderinstrumente zeigt den Unterschied deutlich:

Klimaschutzverträge vs. traditionelle Förderung
Förderart Klimaschutzverträge Traditionelle Programme (IPCEI)
Förderumfang Bis zu 50 Mrd. Euro Projektbezogen
Geförderte Kosten Betriebskosten (OPEX) Investitionskosten (CAPEX)
Laufzeit 15 Jahre Einmalig
Zielgruppe Mittelstand bis Konzerne Hauptsächlich Großprojekte

Für Investoren bedeutet dies: Unternehmen, die sich erfolgreich für diese langfristigen Verträge qualifizieren, haben eine deutlich höhere Planungssicherheit. Das Risiko verlagert sich von der Markt- zur Politik-Ebene. Eine Investition in den Wasserstoffsektor ist somit weniger eine Wette auf technologischen Fortschritt als vielmehr eine Wette auf die Stabilität und Kontinuität der staatlichen Förderpolitik über die nächsten 15 Jahre.

Das „Farbenleere“: Warum blauer Wasserstoff politisch umstritten, aber notwendig ist

Die öffentliche Debatte ist stark auf „grünen“ Wasserstoff fixiert, der mittels Elektrolyse aus erneuerbarem Strom gewonnen wird. Diese Fokussierung ignoriert jedoch eine unbequeme Wahrheit: Deutschland wird seinen immensen Bedarf auf absehbare Zeit nicht allein durch heimische Produktion decken können. Diese Importabhängigkeit ist ein zentraler, aber oft vernachlässigter Aspekt der nationalen Strategie. In diesem Kontext gewinnt „blauer“ Wasserstoff – hergestellt aus Erdgas, wobei das entstehende CO2 abgeschieden und gespeichert wird (CCS) – an strategischer Bedeutung. Obwohl politisch umstritten, weil er auf einer fossilen Quelle basiert, ist er aus rein ökonomischer und pragmatischer Sicht eine notwendige Brückentechnologie.

Symbolische Darstellung der deutschen Wasserstoffimport-Strategie mit internationalen Energiepartnerschaften

Blauer Wasserstoff kann in großen Mengen, zu geringeren Kosten und mit höherer Versorgungssicherheit produziert werden als grüner Wasserstoff heute. Er ermöglicht den schnellen Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und die Skalierung von Anwendungen in der Industrie, während die Kapazitäten für grünen Wasserstoff langsam hochgefahren werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck selbst räumt die Produktionslücke ein:

Wir werden, wenn wir kalkulieren, wie hoch der Wasserstoffbedarf in Deutschland im Industrie- und im Stromsektor ist, ungefähr ein Drittel dessen, was wir verbrauchen, in Deutschland produzieren können. Das heißt umgekehrt: Wir brauchen auch Importe; das ist nicht verwerflich.

– Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Dieser Farbenspiel-Pragmatismus ist für eine realistische Strategie unerlässlich. Eine ideologisch geführte Debatte, die blauen Wasserstoff kategorisch ausschließt, riskiert, die industrielle Transformation zu verlangsamen und die Kosten in die Höhe zu treiben. Für Investoren ist die Akzeptanz von blauem Wasserstoff als Übergangslösung ein wichtiger Indikator für die Pragmatik und Realitätsnähe der deutschen Energiepolitik. Er ist der Puffer, der das System stabilisiert, bis grüner Wasserstoff in ausreichender Menge und zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar ist.

Wann kommt der Wasserstoff-LKW wirklich flächendeckend auf die Autobahn?

Die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs ist neben der Industrie eine der größten Herausforderungen der Energiewende. Wasserstoff-LKW versprechen große Reichweiten und schnelle Betankungszeiten, was sie theoretisch zu einer idealen Alternative zu Diesel-Fahrzeugen macht. Die Realität auf deutschen Autobahnen sieht jedoch anders aus. Das Hauptproblem ist ein klassisches Henne-Ei-Dilemma: Ohne ein flächendeckendes Tankstellennetz investieren Spediteure nicht in teure H2-LKW, und ohne eine kritische Masse an Fahrzeugen bauen Tankstellenbetreiber kein Netz auf. Aktuell ist das Skalierungs-Dilemma offensichtlich.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Laut H2 Mobility Deutschland ist die Betankung für Nutzfahrzeuge an nur 32 Stationen mit 350 bar möglich – ein Tropfen auf den heißen Stein für ein Transitland wie Deutschland. Noch aufschlussreicher ist die jüngste strategische Neuausrichtung des größten Netzbetreibers. Die Fallstudie H2 Mobility zeigt eine klare Prioritätensetzung: Das Unternehmen schließt kleinere 700-Bar-Tankstellen für PKW, um sich auf den Aufbau von leistungsfähigeren Stationen für LKW und Busse an strategischen Hubs zu konzentrieren. Dieser Schritt ist wirtschaftlich nachvollziehbar, da der Bedarf im Nutzfahrzeugsektor am größten ist. Gleichzeitig zementiert er aber die Konzentration auf wenige, hochfrequentierte Korridore.

Eine „flächendeckende“ Versorgung rückt damit in weite Ferne. Stattdessen entstehen regionale Wasserstoff-Oasen entlang der Hauptverkehrsadern. Für die Logistikbranche bedeutet das, dass der Einsatz von H2-LKW vorerst auf feste, planbare Routen zwischen diesen Hubs beschränkt bleiben wird. Der flexible, flächendeckende Einsatz, wie er heute mit Diesel selbstverständlich ist, bleibt auf Jahre eine Illusion. Investoren im Logistik- und Infrastruktursektor müssen diese fragmentierte Realität in ihre Modelle einbeziehen, anstatt von einer landesweiten Revolution auszugehen.

Wie nutzen Sie Ihre Maschinenparks für Medizintechnik statt Autoteile?

Die Transformation zur Wasserstoffwirtschaft ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine erhebliche Chance für den deutschen Maschinenbau und die Zulieferindustrie. Viele Unternehmen, insbesondere aus dem Automotive-Sektor, verfügen über hochspezialisierte Fertigungskompetenzen, die mit Anpassungen direkt auf den wachsenden H2-Markt übertragen werden können. Anstatt auf den disruptiven Wandel zu warten, können proaktive Manager ihre Maschinenparks für die Produktion von Komponenten für die Wasserstofftechnologie umrüsten – beispielsweise für Elektrolyseure, Brennstoffzellen oder Pipeline-Komponenten. Der im Titel genannte Schwenk zur Medizintechnik ist eine Metapher für diese strategische Diversifizierung, die hier konkret auf den Wasserstoffsektor angewendet wird.

Diese strategische Neuausrichtung erfordert einen strukturierten Prozess. Es geht nicht darum, von heute auf morgen die Produktion umzustellen, sondern darum, Kernkompetenzen zu identifizieren und gezielt neue Märkte zu erschließen. Beispielsweise sind Präzisionsfertigung, Werkstoffkunde und Qualitätsmanagement aus der Automobilindustrie direkt auf die hohen Anforderungen bei Wasserstoffkomponenten übertragbar. Der Schlüssel liegt darin, von einem reinen Zulieferer für eine Branche zu einem Technologiepartner für die Energiewende zu werden. Dies sichert nicht nur bestehende Arbeitsplätze, sondern schafft auch neue Wachstumsperspektiven in einem Zukunftsmarkt.

Ihr Aktionsplan: Umstellung von Automotive auf Wasserstoff-Komponenten

  1. Kompetenzanalyse durchführen: Identifizieren Sie übertragbare Fertigungskompetenzen wie Präzisions-Zerspanung, Schweißtechnik oder Dichtungstechnologie, die für Wasserstoffanwendungen relevant sind.
  2. Partnerschaften eingehen: Suchen Sie aktiv die Kooperation mit führenden Wasserstoff-Anlagenbauern wie Siemens Energy oder Thyssenkrupp nucera, um deren Bedarfe und Spezifikationen zu verstehen.
  3. Zertifizierungen erwerben: Planen Sie den Erwerb notwendiger Zulassungen, z.B. vom TÜV, für hochreine Wasserstoffkomponenten, um die Markteintrittsbarrieren zu überwinden.
  4. Produktionsumstellung planen: Passen Sie Fertigungslinien und Qualitätssicherungsprozesse schrittweise an die spezifischen Anforderungen von Elektrolyseur- oder Brennstoffzellen-Komponenten an.
  5. Markteintritt strategisch vollziehen: Positionieren Sie Ihr Unternehmen gezielt als spezialisierten Zulieferer für die wachsende Wasserstoffwirtschaft und nutzen Sie dies als Differenzierungsmerkmal.

Diese Umstellung ist eine unternehmerische Entscheidung, die Mut und Weitsicht erfordert, aber die Chance bietet, aus einer bedrohten Position heraus eine führende Rolle in einem der wichtigsten Industriemärkte des 21. Jahrhunderts zu übernehmen.

Wie messen Sie Ihren CO2-Fußabdruck, wenn Sie keine Ahnung von Strommix haben?

Die „Grünheit“ von Wasserstoff ist keine Eigenschaft, die man dem Gas ansehen kann. Sie ist eine Frage der Herkunft und der lückenlosen Dokumentation. Für Unternehmen, die Wasserstoff nutzen oder produzieren, wird die korrekte Messung und Bilanzierung des CO2-Fußabdrucks zu einer zentralen, aber komplexen Aufgabe. Es reicht nicht aus, einfach „grünen Strom“ zu beziehen. Die EU-Regularien, insbesondere die „Delegated Acts“ zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II), stellen strenge Anforderungen an die Zeitgleichheit und Zusätzlichkeit. Das bedeutet, der für die Elektrolyse genutzte Strom muss nicht nur bilanziell über das Jahr, sondern quasi in Echtzeit aus neuen, zusätzlichen erneuerbaren Anlagen stammen.

Diese Anforderung stellt Manager vor erhebliche Herausforderungen. Sie benötigen aufwendige Messtechnik und komplexe IT-Systeme, um nachzuweisen, dass ihre Wasserstoffproduktion die Kriterien erfüllt. Die Bilanzierung erfolgt entlang der sogenannten Scopes: Scope 1 umfasst die direkten Emissionen vor Ort (z. B. bei der blauen H2-Produktion), Scope 2 die indirekten Emissionen aus eingekauftem Strom für die Elektrolyse, und Scope 3 alle weiteren Emissionen aus der Vorkette, etwa beim Transport von importiertem Wasserstoff. Ohne ein klares Verständnis dieser Abgrenzungen und ohne ein robustes System zur Datenerfassung wird der Nachweis der CO2-Einsparung zur Farce.

Für Investoren und Abnehmer ist dies ein kritisches Risiko. Ein als „grün“ vermarkteter Wasserstoff, dessen Zertifizierung fehlerhaft ist, kann seinen Wert über Nacht verlieren. Institutionen wie das deutsche Umweltbundesamt bauen zwar Herkunftsnachweisregister auf, doch die Verantwortung für die korrekte Datenerhebung und -übermittlung liegt letztlich beim Unternehmen. Die Fähigkeit, den eigenen CO2-Fußabdruck präzise zu messen und transparent zu berichten, wird somit zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil und Qualitätsmerkmal im entstehenden Wasserstoffmarkt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff wird durch die Kluft zwischen hohen Betriebskosten (OPEX) und geförderten Investitionskosten (CAPEX) bestimmt.
  • Die Umstellung der Infrastruktur und die unausweichliche Importabhängigkeit stellen massive, oft unterschätzte Hürden dar.
  • Staatliche Förderungen, insbesondere OPEX-Zuschüsse über Klimaschutzverträge, sind der entscheidende Faktor für die Rentabilität von Projekten und bergen ein erhebliches politisches Risiko.

Wie holen Sie sich bis zu 1 Million Euro staatliche Förderung für interne Entwicklungsprojekte zurück?

Die Transformation hin zu einer Wasserstoffwirtschaft wird maßgeblich durch staatliche Anreize gesteuert. Für Unternehmen, von Mittelständlern bis zu Großkonzernen, ist das Navigieren durch die komplexe Förderlandschaft eine strategische Notwendigkeit. Im Zentrum stehen Instrumente wie die Klimaschutzverträge, die speziell darauf ausgelegt sind, die Lücke bei den Betriebskosten zu schließen und so Investitionen anzureizen. Doch auch abseits dieser Großprojekte existieren zahlreiche Fördertöpfe, etwa für Forschung und Entwicklung, die oft nicht voll ausgeschöpft werden. Die im Titel genannte Summe von 1 Million Euro ist hierbei symbolisch für die erheblichen Mittel, die für Unternehmen zugänglich sind, wenn sie ihre internen Innovationsprojekte richtig positionieren.

Ein herausragendes Beispiel für die Dimensionen der Förderung in der Stahlindustrie ist das Projekt DRIBE2 von ArcelorMittal. Das Unternehmen demonstriert, wie die Transformation in der Praxis aussehen kann.

Fallstudie: ArcelorMittal DRIBE2 – Milliardenförderung für grünen Stahl

ArcelorMittal erhielt für sein Dekarbonisierungsprojekt an den Standorten Bremen und Eisenhüttenstadt eine Zusage über 1,3 Milliarden Euro für sein Projekt DRIBE2. Ziel ist die Produktion von über 3,8 Millionen Tonnen „grünem“ Stahl pro Jahr und eine CO2-Einsparung von bis zu 5,8 Millionen Tonnen jährlich. Dies entspricht über 10 % der Emissionen der gesamten deutschen Stahlindustrie. Das Projekt verdeutlicht die immense Hebelwirkung der staatlichen Förderung und die Bereitschaft der Politik, den Wandel mit substanziellen Mitteln zu unterstützen.

Der Erfolg bei der Akquise von Fördermitteln hängt von mehreren Faktoren ab: einem tiefen Verständnis der politischen Ziele, der Fähigkeit, den eigenen Beitrag zur Dekarbonisierung klar zu quantifizieren, und der professionellen Vorbereitung von Anträgen. Für Manager bedeutet das, eine interne Kompetenz für das „Fördermittel-Management“ aufzubauen oder externe Spezialisten hinzuzuziehen. Die staatliche Förderung ist kein Almosen, sondern ein strategisches Instrument, das über die Geschwindigkeit und den Erfolg der eigenen Transformation entscheidet. Wer hier proaktiv agiert, sichert sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil in einem Markt, der auf Jahre hinaus von politischer Steuerung geprägt sein wird.

Die Navigation durch die Förderlandschaft ist komplex, aber lohnend. Um diese Chancen zu nutzen, ist es entscheidend, die Logik und die Mechanismen der verfügbaren Förderinstrumente zu verstehen.

Die Analyse der Kosten, Risiken und Fördermechanismen zeigt, dass der Weg zu einer grünen Wasserstoffwirtschaft kein Sprint, sondern ein Marathon voller strategischer Entscheidungen ist. Um diese Reise erfolgreich zu gestalten, ist der nächste logische Schritt, die gewonnenen Erkenntnisse in eine konkrete, auf Ihr Unternehmen zugeschnittene Investitions- oder Transformationsstrategie zu überführen.

Häufige Fragen zu Wasserstoff als Energieträger der Zukunft

Was bedeutet ‚grüner‘ Wasserstoff für die CO2-Bilanz?

Grüner Wasserstoff wird ausschließlich mit erneuerbarem Strom hergestellt, wodurch bei der Produktion kein CO2 entsteht. Das Umweltbundesamt betreibt ein Herkunftsnachweisregister zur Zertifizierung seiner Herkunft und zur Sicherstellung der Einhaltung der strengen Kriterien.

Wie werden Scope 1, 2 und 3 Emissionen beim Wasserstoff berechnet?

Scope 1 umfasst direkte Emissionen am Produktionsstandort, wie sie etwa bei der Herstellung von blauem Wasserstoff aus Erdgas entstehen. Scope 2 bilanziert die Emissionen aus eingekauftem Strom für die Elektrolyse. Scope 3 deckt alle weiteren indirekten Emissionen ab, insbesondere aus dem Transport und den Vorketten von importiertem Wasserstoff.

Warum ist die Zeitgleichheit bei grünem Wasserstoff wichtig?

Die EU fordert, dass der für die Elektrolyse verwendete Strom zeitlich nah zur Erzeugung aus erneuerbaren Quellen stammen muss, und nicht nur bilanziell über das Jahr ausgeglichen wird. Dies soll verhindern, dass mit Netzstrom aus fossilen Quellen produziert und dies später mit Ökostrom-Zertifikaten „grün gewaschen“ wird, und erfordert eine aufwendige Messtechnik und Nachweisführung.

Geschrieben von Dr. Markus Weber, Senior-Unternehmensberater und Finanzexperte für den deutschen Mittelstand mit Schwerpunkt auf Nachfolgeregelung und Investitionsstrategien. Seit über 18 Jahren begleitet er Familienunternehmen durch Krisen, Transformationen und Generationswechsel.