
Entgegen der landläufigen Meinung ist die Quanten-Revolution in der Chemie kein fernes Ereignis, sondern ein schrittweiser Prozess, der bereits begonnen hat und jetzt strategische Entscheidungen erfordert.
- Wettbewerbsvorteile entstehen nicht durch den späteren Besitz einer Maschine, sondern durch den heutigen Aufbau von Quanten-Kompetenz.
- Hybride Rechenmodelle, die klassische Supercomputer mit Quanten-Cloud-Diensten kombinieren, sind der pragmatischste und kosteneffizienteste Einstieg.
Empfehlung: Identifizieren Sie jetzt ein überschaubares Pilotprojekt für eine Molekülsimulation und suchen Sie die Partnerschaft mit einem führenden deutschen Forschungsinstitut oder einem Konsortium wie dem QUTAC.
Für Forschungs- und Entwicklungsleiter in der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie ist die Frage nicht mehr, ob Quantencomputing die Spielregeln verändern wird, sondern wann und wie man sich darauf vorbereitet. Die Vorstellung, dass ein einziger technologischer Sprung alles über Nacht verändert, ist eine gefährliche Fehleinschätzung. Die Realität ist subtiler und dringlicher: Die Fähigkeit, Quantenalgorithmen zu verstehen und in bestehende F&E-Prozesse zu integrieren, wird schrittweise zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal im globalen Wettbewerb. Es geht um einen graduellen Aufbau von Know-how, den sogenannten Quanten-Reifegrad, der heute beginnen muss.
Viele Diskussionen kreisen um die immense Rechenleistung und die Bedrohung für die Kryptografie. Doch der wahre strategische Hebel für Unternehmen wie Bayer oder BASF liegt tiefer. Es geht darum, die Lücke zwischen theoretischer Möglichkeit und praktischer Anwendung zu schließen. Anstatt auf den perfekten, fehlerkorrigierten Quantencomputer zu warten, müssen visionäre Leiter jetzt ein Ökosystem aus Talenten, Partnerschaften und ersten Anwendungsfällen schaffen. Der Schlüssel liegt in der intelligenten Nutzung dessen, was bereits verfügbar ist: hybride Rechenmodelle und der einzigartige Ökosystem-Vorteil des deutschen Forschungsstandorts.
Dieser Artikel bricht mit den futuristischen Allgemeinplätzen und bietet einen pragmatischen Fahrplan. Er zeigt, wo die Technologie heute schon konkret Kosten spart, welche strategischen Entscheidungen bezüglich des Zugangs anstehen und wie Sie den „War for Talents“ gewinnen, indem Sie die Stärken des deutschen Industriemodells ausspielen. Es ist eine Anleitung, um vom passiven Beobachter zum aktiven Gestalter der Quanten-Zukunft Ihrer Branche zu werden.
Der folgende Überblick strukturiert die entscheidenden strategischen Handlungsfelder, die Sie als F&E-Leiter in der deutschen Chemieindustrie jetzt adressieren müssen. Tauchen Sie ein in die pragmatischen Schritte, die den Übergang ins Quantenzeitalter definieren.
Inhaltsverzeichnis: Ihr strategischer Leitfaden zum Quanten-Vorteil
- Warum scheitern klassische Supercomputer dort, wo Quantenrechner in Sekunden Lösungen finden?
- Post-Quanten-Kryptografie: Ist Ihre heutige Datenverschlüsselung in 3 Jahren noch sicher?
- Eigener Quantenrechner oder IBM-Cloud-Zugang: Was rechnet sich für den Mittelstand?
- Der War for Talents: Wie finden Sie Quantenphysiker, wenn Google alle wegkauft?
- Simulation von Molekülen: Wo spart Quantentechnologie heute schon Millionen an Laborkosten?
- Welche 3 Marktsignale übersehen traditionelle Familienunternehmen oft zu spät?
- Wann lohnt sich die Auslagerung von F&E an eine deutsche Uni steuerlich?
- Wie schützen Stadtwerke und Krankenhäuser ihre Netze vor russischen Hackerangriffen?
Warum scheitern klassische Supercomputer dort, wo Quantenrechner in Sekunden Lösungen finden?
Klassische Supercomputer, so leistungsstark sie auch sind, arbeiten sequenziell. Sie lösen Probleme, indem sie eine Möglichkeit nach der anderen durchrechnen. Bei komplexen Systemen, wie sie in der Materialforschung und Katalysator-Entwicklung üblich sind, führt dies zu einer „kombinatorischen Explosion“. Die Anzahl der möglichen Zustände eines Moleküls wächst exponentiell mit seiner Größe, was die Rechenzeit für klassische Computer schnell in Jahre oder gar Jahrtausende treibt. Hier liegt der fundamentale Unterschied: Ein Quantencomputer rechnet nicht sequenziell, sondern parallel in einem riesigen Lösungsraum. Dank der Prinzipien von Superposition und Verschränkung können seine Qubits unzählige Zustände gleichzeitig repräsentieren und verarbeiten.
Stellen Sie sich vor, Sie suchen den Ausgang aus einem Labyrinth. Ein klassischer Computer probiert jeden Weg einzeln aus. Ein Quantencomputer kann bildlich gesprochen alle Wege gleichzeitig erkunden und findet die Lösung quasi instantan. Genau dieser Effekt ermöglicht Durchbrüche bei Problemen, die für Supercomputer unlösbar sind. Die Simulation der exakten elektronischen Struktur eines komplexen Katalysator-Moleküls ist ein solches Problem. Ein Quantencomputer kann die Wechselwirkungen aller Elektronen realitätsgetreu abbilden und so Materialien mit bisher unerreichten Eigenschaften vorhersagen. Die Industrie erlebt diesen Paradigmenwechsel bereits: Laut Microsoft können Simulationen in der Chemie bis zu 500.000 Mal schneller mit Azure Quantum Elements durchgeführt werden als mit konventionellen Rechnern.
Anwendungsfall: Forschungszentrum Jülich löst Materialforschungsproblem
Ein konkretes Beispiel für die Überlegenheit der Quantentechnologie liefert das Forschungszentrum Jülich. Wissenschaftler haben dort mit einem D-Wave Quantenannealer ein komplexes Problem der Materialforschung gelöst: die erfolgreiche Nachbildung des Übergangs von temperaturgesteuerter zu verrauschter, von Quantenfluktuationen dominierter Dynamik. Dieses Verständnis ist entscheidend für die Entwicklung zukünftiger, energieeffizienter elektronischer Geräte. Der Erfolg in Jülich demonstriert, dass Quantencomputer nicht nur theoretische Konstrukte sind, sondern bereits heute praktische Lösungen für tiefgreifende wissenschaftliche Fragestellungen liefern, die den Energieverbrauch von Computersystemen revolutionieren könnten.
Der Sprung ist also nicht nur quantitativ – mehr Geschwindigkeit –, sondern qualitativ. Es geht darum, eine völlig neue Klasse von Problemen lösbar zu machen, die das Herzstück der chemischen und pharmazeutischen F&E betreffen. Diese Fähigkeit ist der Kern des zukünftigen Wettbewerbsvorteils.
Post-Quanten-Kryptografie: Ist Ihre heutige Datenverschlüsselung in 3 Jahren noch sicher?
Die enorme Rechenleistung von Quantencomputern ist nicht nur ein Segen für die Forschung, sondern auch eine existenzielle Bedrohung für die Datensicherheit. Heutige Verschlüsselungsverfahren wie RSA und ECC basieren auf mathematischen Problemen, die für klassische Computer praktisch unlösbar sind, beispielsweise die Faktorisierung großer Zahlen. Für einen zukünftigen, ausreichend großen Quantencomputer sind genau diese Probleme trivial lösbar. Das bedeutet: Jede heute verschlüsselte Information – von F&E-Daten über Geschäftsgeheimnisse bis hin zu staatlicher Kommunikation – könnte rückwirkend entschlüsselt werden, sobald eine solche Maschine existiert.
Dieses Szenario wird als „Harvest now, decrypt later“ (Jetzt ernten, später entschlüsseln) bezeichnet. Angreifer könnten bereits heute verschlüsselte Datenpakete abfangen und speichern, in der Gewissheit, sie in wenigen Jahren lesen zu können. Für die Chemie- und Pharmaindustrie mit ihren langen Entwicklungszyklen und extrem wertvollen Patentdaten ist dies ein Albtraum. Die Dringlichkeit wird durch eine Umfrage des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unterstrichen: Erschreckende 89 Prozent der befragten Organisationen gehen davon aus, dass die nötige Migration zur Post-Quanten-Kryptografie (PQC) länger dauert, als ihre sensiblen Daten sicher bleiben. Über die Hälfte hat noch gar keine Maßnahmen ergriffen.

Die Entwicklung und Implementierung von quantensicheren Algorithmen ist daher keine ferne Zukunftsaufgabe, sondern eine unmittelbare Notwendigkeit. Die gute Nachricht ist, dass an PQC-Standards bereits weltweit gearbeitet wird. Die Herausforderung für F&E-Leiter besteht darin, eine Bestandsaufnahme der eigenen kryptografischen Infrastruktur durchzuführen („Krypto-Agilität“) und eine Migrationsstrategie zu entwickeln. Dies ist keine rein technische, sondern eine strategische Unternehmensaufgabe. Die Mahnung von BSI-Präsidentin Claudia Plattner ist unmissverständlich:
Leistungsfähige Quantencomputer könnten zukünftig ein riesiges Potential bieten. Gleichzeitig bedrohen Sie aber auch die Sicherheit unserer gesamten digitalen Infrastruktur. Deshalb müssen wir jetzt handeln und Schutzmaßnahmen ergreifen.
– Claudia Plattner, BSI-Präsidentin
Die Sicherung Ihrer wertvollsten Daten – der Formeln und Forschungsergebnisse von morgen – muss parallel zur Erkundung der Chancen des Quantencomputings erfolgen. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.
Eigener Quantenrechner oder IBM-Cloud-Zugang: Was rechnet sich für den Mittelstand?
Sobald die strategische Relevanz des Quantencomputings erkannt ist, stellt sich die operative Kernfrage: Wie verschafft man sich Zugang zu dieser Technologie? Die Vorstellung, einen eigenen Quantencomputer im Keller zu betreiben, ist für die meisten Unternehmen – selbst für große Konzerne – vorerst unrealistisch und unwirtschaftlich. Die Anschaffung, Wartung und der Betrieb erfordern nicht nur Millioneninvestitionen, sondern auch ein hochspezialisiertes Expertenteam. Glücklicherweise gibt es pragmatischere Alternativen, die den Einstieg ermöglichen und es erlauben, den Quanten-Reifegrad schrittweise zu erhöhen.
Die gängigsten Optionen sind der direkte Kauf, der Zugang über Cloud-Plattformen von Anbietern wie IBM, Google oder Microsoft und die Kooperation mit öffentlichen Forschungseinrichtungen. Jedes Modell hat spezifische Vor- und Nachteile in Bezug auf Kosten, Kontrolle und Daten-Souveränität – ein für deutsche Unternehmen besonders kritisches Thema. Der Cloud-Zugang bietet sofortige Verfügbarkeit und Skalierbarkeit ohne hohe Anfangsinvestitionen, wirft aber Fragen zur Kontrolle über sensible F&E-Daten auf. Forschungskooperationen bieten Zugang zu geförderten Spitzen-Systemen und lokaler Expertise, oft aber mit begrenzter und geteilter Rechenzeit.
Der folgende Vergleich zeigt eine Übersicht der strategischen Optionen, die deutschen Unternehmen zur Verfügung stehen, um erste Erfahrungen zu sammeln und Anwendungsfälle zu validieren.
| Option | Investitionskosten | Vorteile | Nachteile |
|---|---|---|---|
| Eigener Quantencomputer | Mehrere Millionen Euro | Volle Kontrolle, Datensouveränität | Hohe Kosten, Expertenbedarf, Wartung |
| Cloud-Zugang (IBM/Google) | Ab 10.000 €/Monat | Sofortiger Zugang, keine Wartung | Datenschutzbedenken, laufende Kosten |
| Deutsche Forschungskooperationen | Projektabhängig | Förderung möglich, lokale Expertise | Begrenzte Rechenzeit, Wartezeiten |
Anwendungsfall: BASF setzt auf hybriden Ansatz
Ein führender Wegbereiter wie BASF zeigt, dass die Lösung oft in der Kombination liegt. Der Konzern betreibt einen eigenen klassischen Supercomputer namens „Quriosity“, ergänzt diesen aber gezielt durch die Cloud-Plattform Microsoft Azure Quantum. Stephan Schenk von BASF erläutert den Vorteil: „Mit der Azure-Cloud erhält man unkompliziert Zugang zu einer Umgebung, welche die gängigen Programme enthält. Dies senkt die Eintrittshürde.“ Dieses hybride Rechenmodell erlaubt es, für jedes Problem das passende Werkzeug zu wählen – die massive, aber klassische Rechenleistung von Quriosity für bestimmte Aufgaben und die spezialisierte Quanten-Power aus der Cloud für andere.
Für die meisten F&E-Abteilungen wird der Königsweg zunächst über Cloud-Dienste und Forschungspartnerschaften führen. Dies ermöglicht den Aufbau von Kompetenz und die Identifizierung von „Quantum-ready“-Problemen, ohne sofort ein volles finanzielles Risiko einzugehen.
Der War for Talents: Wie finden Sie Quantenphysiker, wenn Google alle wegkauft?
Die fortschrittlichste Technologie ist wertlos ohne die Menschen, die sie bedienen können. Der „War for Talents“ im Bereich Quantencomputing ist bereits in vollem Gange. Tech-Giganten wie Google und IBM saugen den Markt für Quantenphysiker und -informatiker leer. Für ein deutsches Industrieunternehmen scheint es auf den ersten Blick unmöglich, in diesem Wettbewerb zu bestehen. Doch ein direkter Konkurrenzkampf um dieselben wenigen Top-Absolventen ist der falsche Ansatz. Die Lösung liegt in einer intelligenteren, auf den Ökosystem-Vorteil Deutschlands zugeschnittenen Strategie.
Anstatt zu versuchen, etablierte Quanten-Gurus abzuwerben, müssen F&E-Leiter eine zweigleisige Strategie verfolgen: die Förderung des Nachwuchses direkt an der Quelle und die gezielte Weiterbildung eigener, erfahrener Mitarbeiter. Deutschland verfügt über ein weltweit führendes Netzwerk an technischen Universitäten und Forschungsinstituten. Durch strategische Partnerschaften, die Finanzierung von Doktorandenstellen und die Mitarbeit in Konsortien wie dem Munich Quantum Valley oder QUTAC können Unternehmen Talente frühzeitig identifizieren und an sich binden. Heike Riel, IBM Fellow, betont die Notwendigkeit neuer Bildungswege:
Das werde auch neue Bildungswege erfordern. In wenigen Jahren werde der erste fehlerkorrigierte Quantenrechner verfügbar sein; spätestens dann brauche es Fachleute, die Algorithmen entwickeln und die Technologie in Arbeitsprozesse integrieren können.
– Heike Riel, IBM Fellow und Head Science & Technology bei acatech
Parallel dazu liegt ein riesiges, oft übersehenes Potenzial in der eigenen Belegschaft. Erfahrene Chemiker, Materialwissenschaftler und Informatiker verstehen die unternehmensspezifischen Probleme. Durch gezielte Weiterbildungsprogramme können sie zu „Quanten-Übersetzern“ werden – Experten, die die Brücke zwischen den Problemen der chemischen F&E und den Lösungsansätzen der Quantenalgorithmen schlagen.
Ihr Aktionsplan zur Gewinnung von Quanten-Talenten
- Partnerschaften aufbauen: Etablieren Sie formelle Kooperationen mit führenden Quanten-Fakultäten wie der TU München und der RWTH Aachen, um direkten Zugang zum Nachwuchs zu erhalten.
- Nachwuchs fördern: Finanzieren Sie gezielt Industriestipendien und gemeinsame Promotionsprogramme, um Talente frühzeitig an unternehmensrelevante Fragestellungen zu binden.
- Intern qualifizieren: Entwickeln Sie interne Weiterbildungsprogramme, die erfahrenen Chemikern und Informatikern die Grundlagen der Quantenalgorithmen vermitteln und sie zu „Quanten-Übersetzern“ machen.
- Netzwerke nutzen: Nehmen Sie aktiv an Initiativen wie dem Munich Quantum Valley oder dem QUTAC-Konsortium teil, um Wissen auszutauschen und Zugang zu einem breiteren Talentpool zu bekommen.
- Standortvorteil betonen: Positionieren Sie Ihr Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber, indem Sie die Stabilität, die hohe Lebensqualität und die sinnstiftende Arbeit in einem deutschen Familienunternehmen oder Traditionskonzern gegenüber der volatilen Tech-Branche hervorheben.
Die Gewinnung von Quanten-Talent ist kein Sprint, sondern ein Marathon, der strategische Weitsicht und die intelligente Nutzung des vorhandenen Ökosystems erfordert.
Simulation von Molekülen: Wo spart Quantentechnologie heute schon Millionen an Laborkosten?
Während viele Anwendungen des Quantencomputings noch in der Zukunft liegen, gibt es einen Bereich, in dem die Technologie bereits heute einen messbaren finanziellen Mehrwert schafft: die Simulations-Beschleunigung in der Material- und Wirkstoffforschung. Die Entwicklung neuer Katalysatoren, optimierter Rezepturen für Lacke oder effizienterer Pflanzenschutzmittel ist traditionell ein langwieriger Prozess aus Versuch und Irrtum im Labor. Jeder Syntheseversuch, jede Testreihe kostet Zeit und erhebliche Ressourcen. Quantensimulationen versprechen, diesen Prozess radikal zu verkürzen.
Indem sie das Verhalten von Molekülen auf Quantenebene präzise vorhersagen, ermöglichen sie es Forschern, Tausende von potenziellen Kandidaten virtuell zu screenen und nur die vielversprechendsten im Labor zu synthetisieren. Dies reduziert nicht nur die direkten Laborkosten, sondern beschleunigt auch die Markteinführung neuer Produkte dramatisch – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Der CEO von BASF, Martin Brudermüller, bestätigte diese massive Zeitersparnis bereits: Ein Quantencomputer kann komplexe Formulierungen, für die ein Supercomputer Wochen und Monate benötigen würde, innerhalb von Tagen berechnen.

Dieser „virtuelle Prototypenbau“ von Molekülen ist der erste, greifbare Return on Investment für Unternehmen, die in Quantencomputing einsteigen. Er ist der perfekte Anwendungsfall für erste Pilotprojekte, da der Business Case klar definierbar ist: Jeder vermiedene Laborversuch, jeder Monat, um den ein Produkt früher auf den Markt kommt, lässt sich in Euro beziffern. Anstatt auf eine Killer-Applikation zu warten, können F&E-Abteilungen hier mit überschaubaren Projekten starten, wertvolle Erfahrungen sammeln und gleichzeitig einen direkten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Die Simulation von Katalysatoren für die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff oder die Entwicklung neuer Batteriematerialien sind nur zwei Beispiele, bei denen diese Technologie eine Schlüsselrolle spielen wird. Die Fähigkeit, Materialien am Computer zu entwerfen, statt sie im Labor zu entdecken, ist der erste, aber entscheidende Schritt der Quantenrevolution in der Chemie.
Welche 3 Marktsignale übersehen traditionelle Familienunternehmen oft zu spät?
Die disruptive Kraft neuer Technologien kündigt sich selten mit einem lauten Knall an. Sie beginnt mit leisen Signalen, die von etablierten Akteuren, insbesondere von traditionellen Familienunternehmen, oft übersehen oder als Nischenphänomen abgetan werden. Im Bereich Quantencomputing gibt es drei solcher kritischen Marktsignale, die F&E-Leiter jetzt genau beobachten müssen. Sie deuten darauf hin, dass der Wandel von der akademischen Forschung in die industrielle Anwendung bereits im Gange ist. Wer diese Signale ignoriert, riskiert, in wenigen Jahren den Anschluss zu verlieren.
Das erste und wichtigste Signal ist die massive Verlagerung von F&E-Budgets der Branchenführer. Wenn Konzerne wie BASF, Bayer und Bosch signifikante Mittel in Quantencomputing-Konsortien wie das QUTAC (Quantum Technology and Application Consortium) investieren, ist das kein Experiment mehr, sondern eine strategische Neuausrichtung. Ein konkretes Beispiel ist die frühe Investition von BASF Venture Capital in das Startup Zapata Computing, um sich eine führende Position bei Quantenalgorithmen zu sichern. Schon 2019 und 2020 investierte BASF Venture Capital, um die Entwicklung zu beschleunigen.
Die drei entscheidenden Signale, die auf eine bevorstehende Disruption hindeuten, sind:
- Signal 1: Strategische Investitionen der Branchenführer: Führende deutsche Industrieunternehmen wie BASF, Bayer und Bosch verlagern bereits erhebliche F&E-Budgets in Quantencomputing-Konsortien wie QUTAC. Dies zeigt, dass die Technologie als strategisch erfolgskritisch eingestuft wird.
- Signal 2: Erste Patentanmeldungen: Achten Sie auf die ersten Patentanmeldungen von Wettbewerbern, die explizit Materialeigenschaften oder Herstellungsverfahren beanspruchen, die auf Quantensimulationen basieren. Dies ist ein klares Zeichen, dass der theoretische Vorteil in schützbares geistiges Eigentum umgewandelt wird.
- Signal 3: Gezielte staatliche Förderung: Die Zunahme von spezifischen Förderprogrammen des BMBF und der EU, die gezielt die Anwendung von Quantentechnologie im industriellen Mittelstand unterstützen. Diese Programme senken die Eintrittsbarrieren und signalisieren politisches Vertrauen in die Technologie.
Diese Signale sind die Vorboten eines tektonischen Wandels. Für F&E-Leiter ist es entscheidend, nicht nur auf die eigene Branche zu schauen, sondern diese Meta-Trends zu analysieren, um die Geschwindigkeit und Richtung der Entwicklung korrekt einzuschätzen und die eigene Strategie rechtzeitig anzupassen.
Wann lohnt sich die Auslagerung von F&E an eine deutsche Uni steuerlich?
Für viele Unternehmen, insbesondere den innovativen Mittelstand, ist die Kooperation mit externen Forschungseinrichtungen der pragmatischste Weg, um Zugang zu Spitzen-Know-how und teurer Infrastruktur im Bereich Quantencomputing zu erhalten. Deutschland bietet hier mit seiner dichten Landschaft aus Universitäten, Fraunhofer-Instituten und anderen Einrichtungen einen einzigartigen Ökosystem-Vorteil. Die Auslagerung von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen an diese Partner ist nicht nur ein Weg, um den Mangel an eigenen Experten zu kompensieren, sondern kann auch steuerlich attraktiv sein.
Das seit 2020 in Deutschland geltende Forschungszulagengesetz (FZulG) ist hierbei ein entscheidendes Instrument. Es ermöglicht Unternehmen, eine steuerliche Förderung für ihre F&E-Aktivitäten zu beantragen, unabhängig von ihrer Größe oder Branche. Dies gilt explizit auch für Auftragsforschung. Wenn ein Unternehmen also eine Universität oder ein Forschungsinstitut mit einem konkreten Quantencomputing-Projekt beauftragt, können bis zu 60 % der angefallenen Lohnkosten des Auftragnehmers als Bemessungsgrundlage für die Forschungszulage angesetzt werden. Die Zulage selbst beträgt 25 % dieser Bemessungsgrundlage und wird auf die nächste Ertragsteuerschuld angerechnet oder ausgezahlt.
Anwendungsfall: Forschungskooperationen als Königsweg
Der effektivste Weg führt oft über etablierte Forschungsverbünde in Deutschland. Anstatt das Rad neu zu erfinden, können sich Firmen in bestehende Strukturen einklinken. Ein prominentes Beispiel ist die Partnerschaft des Fraunhofer-Instituts mit IBM in Ehningen bei Stuttgart, wo ein Quantencomputer für die Forschungsgemeinschaft zugänglich gemacht wird. Ein weiteres Zentrum entsteht am Forschungszentrum Jülich, das mit D-Wave Quantencomputern arbeitet. Die Teilnahme an solchen Verbünden bietet nicht nur Zugang zur Hardware, sondern auch zur Expertise der dortigen Wissenschaftler und einem Netzwerk anderer Industrie-Partner.
Die Auslagerung lohnt sich also besonders dann, wenn ein klares F&E-Projekt definiert werden kann, das die Kriterien des FZulG erfüllt (Neuheit, Schöpferischsein, Planmäßigkeit, Unsicherheit im Ergebnis). Für ein erstes Quanten-Pilotprojekt, etwa die Simulation eines bestimmten Moleküls, sind diese Kriterien in der Regel gegeben. Die Kombination aus Zugewinn an Expertise, Zugang zu geförderter Infrastruktur und steuerlicher Entlastung macht die Forschungskooperation zu einem hochattraktiven strategischen Instrument für den Einstieg ins Quantenzeitalter.
Das Wichtigste in Kürze
- Quantencomputing ist kein Zukunftsthema, sondern ein gradueller Prozess, der heute strategische Entscheidungen über den Aufbau von Kompetenz erfordert.
- Die größte unmittelbare Bedrohung ist die „Harvest now, decrypt later“-Gefahr für Ihre F&E-Daten, was die Migration zu Post-Quanten-Kryptografie (PQC) dringend macht.
- Der pragmatischste Einstieg erfolgt über hybride Modelle (Cloud & On-Premise) und die Nutzung des deutschen Forschungs-Ökosystems, oft steuerlich gefördert durch das Forschungszulagengesetz.
Wie schützen Stadtwerke und Krankenhäuser ihre Netze vor russischen Hackerangriffen?
Die Bedrohung durch Quantencomputer beschränkt sich nicht auf Unternehmensgeheimnisse und F&E-Daten. Die gleichen kryptografischen Schwachstellen, die Patente gefährden, machen auch die kritische Infrastruktur (KRITIS) eines Landes verwundbar. Betreiber von Stromnetzen, Wasserwerken, Krankenhäusern oder Verkehrssystemen stehen vor der gleichen Herausforderung, nur mit potenziell noch dramatischeren Konsequenzen im Falle eines Angriffs. Ein erfolgreicher Cyberangriff auf ein Stadtwerk könnte die Energieversorgung einer ganzen Region lahmlegen; ein Angriff auf ein Krankenhausnetzwerk könnte Menschenleben kosten.
Die geopolitische Lage, insbesondere die Bedrohung durch staatlich gesteuerte Hackergruppen, verschärft dieses Risiko erheblich. Akteure, die über die Ressourcen und die langfristige Perspektive für „Harvest now, decrypt later“-Angriffe verfügen, zielen oft gezielt auf die kritische Infrastruktur eines Landes ab. Die in diesem Artikel diskutierten Prinzipien der Post-Quanten-Kryptografie (PQC) sind daher für KRITIS-Betreiber von ebenso existenzieller Bedeutung wie für die Chemieindustrie. Die Herausforderung ist hier jedoch oft noch größer: Die IT-Systeme in der Infrastruktur sind häufig älter, heterogener und über Jahrzehnte gewachsen (sog. „Operational Technology“ oder OT), was eine Migration zu neuen Sicherheitsstandards besonders komplex macht.
Für Betreiber wie Stadtwerke und Krankenhäuser ist eine dreistufige Strategie unerlässlich:
- Inventarisierung: Eine vollständige Erfassung aller Systeme, die kritische Daten verarbeiten oder Steuerungsfunktionen ausüben und auf klassischer Kryptografie beruhen.
- Risikobewertung: Die Analyse, welche Systeme das höchste Risiko darstellen und wie lange die dort verarbeiteten Daten relevant bleiben müssen.
- Roadmap zur Migration: Die Entwicklung eines langfristigen Plans zur schrittweisen Umstellung auf quantensichere Algorithmen, priorisiert nach dem identifizierten Risiko.
Der Schutz der digitalen Souveränität und der Funktionsfähigkeit des Staates beginnt mit der Absicherung seiner fundamentalen Infrastruktur. Die Bedrohung durch Quanten-Hacker ist universell, und die Notwendigkeit, heute mit der Implementierung von PQC zu beginnen, betrifft die gesamte Gesellschaft, von der Industrie bis zur öffentlichen Daseinsvorsorge.
Für F&E-Leiter in der deutschen Chemieindustrie bedeutet dies: Die Reise ins Quantenzeitalter hat bereits begonnen. Der erste Schritt besteht nicht darin, eine Maschine zu kaufen, sondern eine Strategie zu entwickeln. Beginnen Sie jetzt damit, Pilotprojekte zu definieren, Partnerschaften aufzubauen und Ihr Team für die Zukunft zu rüsten, um den entscheidenden Wettbewerbsvorteil von morgen zu sichern.